Test

Microlino - So fühlt sich Freude an

Die Schweiz hat wieder ein eigenes Auto. Wir haben uns mit dem Microlino 2.0 auf eine Entdeckungsreise der Gefühle begeben und dabei viel gelernt. Zum Beispiel, dass Freude wirklich grenzenlos sein kann. Ein Test der etwas anderen Art.

Veröffentlicht am 24.12.2022

Das Lachen lässt sich einfach nicht stoppen. Laut und hemmungslos bricht es aus mir heraus. Dabei höre ich weder irgendwelche Klamauk-Podcasts noch schaue Komödien. Nein, ich sitze in einer Zelle. Und rundherum stehen Menschen, die ebenfalls lachen, grinsen, mit den Fingern zeigen. Habe ich irgendwas genommen? Trage ich eine Zwangsjacke? Nein. Ich fahre Microlino. Ein winzig kleines Elektromobil aus der Schweiz. Und wenn etwas ein Garant für gute Laune ist, dann dieses Auto. (Microlino Spiaggina: Urlaubsfeeling für die Hosentasche!)

Winzige Abmessungen

Wobei «Auto» hier nicht ganz passend erscheint. Erstens besitzt der 2,52 Meter kurze Floh eine L7e-Zulassung als «leichtes zweispuriges Fahrzeug», was es de facto mit Quads gleichsetzt, zweitens wirbt sogar Microlino selbst mit dem Satz «This is not a car». Vielmehr ist es eine Art Motorrad mit Witterungsschutz – gedacht als Fortbewegungsmittel für Alltagsfahrten. Die Familie Ouboter, die Erfinder des Microlino, startete mit der Frage, wie viel Auto es im Alltag eigentlich braucht. Laut Studien sitzt nur selten mehr als eine Person im Auto, die dann im Schnitt weniger als 40 Kilometer fährt.


Kulleraugen und eine Art Lächeln im Gesicht machen den Microlino sofort sympathisch.

Der Microlino ist nun also die Antwort auf dieses Problem – und ganz nebenbei eine Art Wiederauferstehung der BMW Isetta. Wie die legendäre Knutschkugel besitzt auch der Microlino eine einzige, vorne angeschlagene Tür. Die Abmessungen sind in etwa gleich und das Design zitiert den geistigen Urahn ebenfalls stark. Darüber hi-naus könnten die Unterschiede grösser nicht sein. Im Heck sitzt ein 12,5 kW (16 PS) starker Elektromotor, LED-Scheinwerfer leuchten die Strasse aus. Die sitzen wie Kulleraugen an den Seiten und geben dem Auto ein fröhliches Gesicht.


Eingestiegen wird im Microlino von vorne, genau wie bei der BMW Isetta aus den 1950ern.

Einsteigen gelingt ganz easy. Man kann fast in den Microlino hineinspazieren, sich umdrehen und fallen lassen. Wo der Isetta-Innenraum ausstattungsmässig einer leeren Getränkedose glich, hat der Microlino erstaunlich viel zu bieten. Digitalcockpit, Bedienung via kleinem Touchdisplay, Leder- und Mikrofaserimitate, Bluetooth-Speaker, Heckscheibenheizung – alles da. Nur die Verarbeitung könnte an manchen Ecken etwas besser sein. Solche Aspekte würden aber laufend optimiert, wie wir von Microlino-CMO Merlin Ouboter erfahren. Und das willkommene Feedback der Kunden werde nach Möglichkeit umgesetzt. (Microlino Lite: Fahren ab 16.)

Autobahn nein, Stadt ja

Ich drehe den Zündschlüssel um – eines der wenigen E-Autos, das so gestartet wird –, stelle das Gangwahlrad auf D und kullere los. Sofort fängt mein Körper an, Glückshormone auszuschütten. Möglich, dass das am Fahrgefühl liegt, das einem Gokart ähnelt. Fahrhilfen gibt es keine, weder ESP noch Servolenkung noch Bremskraftverstärker. Dafür Einzelradaufhängung, direkte Lenkung und dank Fliegenleergewicht von gut 500 Kilogramm eine flotte Beschleunigung. Kurven nimmst du immer mit vollem Speed, biegst im Zickzack ab, freust dich über jede Lücke im Verkehr, in die du reinwuselst.


Kein Trick: So verschwommen scheint die Wahrnehmung im Microlino bei den vollen 90 km/h tatsächlich zu sein.

Auf dem Weg in die Zürcher Innenstadt nehme ich noch ein Stück Autobahn mit. Eine Erfahrung, die man machen kann, aber nicht muss. Nicht wegen der Antriebsgeräusche, die beim Beschleunigen zwischen 50 und 65 km/h recht laut durchs Cockpit jaulen. Das werde man ohnehin noch optimieren, sagt Microlino. Und fährt man brav rechts, ist der 90-km/h-Zwerg auch kein Verkehrshindernis. Die Spurstabilität ist ebenfalls erstaunlich gut. Das mulmige Gefühl rührt eher von den Zwergendimensionen her. Der Lastwagen hinter einem taucht bedrohlich gleich in beiden Seitenspiegeln auf, was trotz Sicherheitszelle aus Alu und Stahl nur bedingt angenehm ist.

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Dennoch muss ich ständig lachen ob der situativen Absurdität. Das scheint auch anderen so zu gehen. Wirklich jede und jeder verrenkt sich den Hals nach dem freundlichen kleinen Alien. Auf den zehn Kilometern Autobahn zähle ich mindestens fünf Daumen-hoch – egal ob aus Kleinwagen oder fettem SUV. Noch irrer ist es in der Stadt. Zwischen all den Ferraris, Lamborghinis und Bentleys ist der Microlino unzweifelhaft der Star – und vor allem ein echter Sympathieträger.

Spontaner Applaus eines Passanten, als ich quer einparke und vorne raus direkt aufs Trottoir steige. Die Show hat Zirkusqualitäten, anonym unterwegs sein ist hier nicht. Lachen und zurückwinken dafür umso mehr. Der Microlino ist das perfekte Anti-Statement, taugt trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – als schickes Accessoire. Beweis? Der CEO des Modelabels Gucci hat einen. Und auch der Besitzer vom Zürcher Kaufleuten soll einen bestellt haben.

Alles und alle strahlen

Um die Freude auf die Spitze zu treiben, haben wir uns was ausgedacht. Als es dunkel wird, stellen Fotograf Markus und ich den Microlino mitten vors Zürcher Opernhaus und behängen ihn, für die Vorweihnachtsstimmung, mit Lichterketten. Und wie die leuchtende Weihnachtskugel da so steht, strahlend und freundlich, kennen die Leute kein Halten mehr. Da werden Selfies gemacht, der Microlino staunend umrundet. Ob man sich mal reinsetzen dürfe?


Der Microlino ist im Zürcher Schaulaufen der Supercars unzweifelhaft der Star.

Ein Herr erzählt uns freudig, er habe vor fünf Jahren einen roten bestellt. Der Marktstart des Microlino hat sich nach einem Wechsel des Kooperationspartners und einem kompletten Re-Design bekanntermassen verzögert. «Gefahren bin ich ihn noch nie», erzählt der Mann weiter. «Aber ich freue mich wie verrückt darauf, wenn ich meinen endlich in Empfang nehmen darf!» Dann waren da noch Alexander und Robert mit ihren Familien. Sie stammen aus der Ukraine und haben hier in der Schweiz eine Hilfsorganisation aufgebaut. Mit der gelb-blauen Flagge posieren wir für ein Foto alle zusammen vor dem strahlenden Microlino. Lachen, Winken und Händeschütteln zum Abschied.

Der Kleine nimmt sich selbst nicht so ernst

Der Microlino lässt einfach niemanden kalt. Egal ob schiere Freude oder – ganz selten – Kopfschütteln, das Auto löst Emotionen aus. Das Beste ist, dass sich der Kleine selbst nicht so ernst nimmt. Den Sportknopf ziert ein düsenbetriebener Microlino. Drückt man ihn, taucht im Digitalcockpit der Zwerg mit Nachbrenner auf. Auch das bringt einen zum Lachen. Als ich nach Rückgabe wieder bei Micro vom Hof spaziere, lassen mich zwei Dinge nicht los. Erstens das Gefühl, dass hier etwas ziemlich Erfolgreiches seinen Anfang nimmt, und zweitens mein tierisch schmerzendes Zwerchfell.

Technische Daten

Microlino 2.0 Pioneer Series
Motor: E-Motor (PSM), Getriebe: Eingang, Leistung: 12,5 kW (16 PS), Drehmoment: 89 Nm, Leistungsgewicht: 32,1 kg/PS, 0–50 km/h: 4,9 s, Höchstgeschwindigkeit: 90 km/h, Hinterradantrieb, Verbrauch (WLTP):, 5,9 kWh/100 km, Batteriekapazität: 10,5 kWh (Brutto), Ladeleistung: 2,6 kW (AC), Emissionen: 0 g/km CO2, Energieeffizienz: A, Bereifung: 145/70 R13, Abmessungen (L/B/H): 2519/1473/1501 mm, Radstand: 1566 mm, Wendekreis: 3,4 m, Leergewicht (EU): 513 kg, Ladevolumen: 230 l, Preis: ab 20 990 Franken

Text: Moritz Doka
Bilder: Markus Kunz

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