Wie Netflix

Sitzheizung und Co – BMW bietet Ausstattung im Abonnement

Abonnement-Dienste sind aus dem modernen Leben nicht mehr wegzudenken. Vom Mobiltelefon-Vertrag, über den Streaming-Anbieter für Fernsehen und Musik, Lizenzen für Software, bis hin zu automatisch erneuerten Lebensmittel-Bestellungen. Nun kommt die Autoindustrie dazu und bietet Optionen gegen monatliche Bezahlung an.

Veröffentlicht am 18.07.2022

Es scheint auf den ersten Blick schwer verständlich: Man hat ein Auto vor sich, das über alle Assistenzsysteme verfügt, Heizdrähte in Lenkrad und Sitzen verbaut hat, ja sogar ein adaptives Sportfahrwerk montiert hat und man kann keine der Funktionen nutzen. Denn man hat sie nicht bezahlt. Sie sind aber physisch verbaut. Warum?

Variantenvielfalt lautet das Stichwort der Brancheninsider

Der Schlüssel liegt in der Produktion. Ein Fahrzeug zu individualisieren ist für den Kunden toll, für den Hersteller nicht. Er muss nicht nur diverse Varianten vorhalten, sondern kann diese auch nur in jeweils geringerer Stückzahl produzieren lassen. Ein simples Rechenbeispiel: Ein LED-Scheinwerfer kostet in der Produktion 70 Franken, sein adaptives Pendant allerdings 95 Franken. Dies muss der Hersteller zahlen, wenn er beide Optionen anbietet. Bestellt er hingegen die gesamte Losgrösse als adaptive LED-Version, so kann für 75 Franken einkaufen. Er kostet ihn entsprechend nur wenig mehr – in vielen Fällen sogar gar nichts, wenn man die Gesamtkosten inklusive komplexerer Lagerhaltung und Co mitrechnet – im Vergleich zur Lösung mit zwei verschiedenen Scheinwerfern.

Fahrzeuge rollen künftig vollausgestattet vom Band

In Zukunft werden die Fahrzeuge deshalb mit deutlich besserer Ausstattung vom Band laufen. Und dies sogar, wenn der Kunde einige der Optionen gar nicht bestellt hat. Denn so kann man sie ihm auf Wunsch auch nachträglich zum Kauf anbieten. BMW hat nun als erster Hersteller den Schritt gewagt neben reinen Software-Funktionen auch klassische Sonderausstattungen „freizuschalten“. So findet sich im BMW ConnectedDrive Store nicht nur ein Upgrade für die E-Motor-Sounds, sondern auch Sitzheizung, Lenkradheizung und sogar das adaptive M Fahrwerk als nachträglich buchbare Option.

Lockende Umsätze und Mehrfachabrechnungen

Betriebswirtschaftlich haben wir den Anreiz für die Münchner bereits erklärt, denn ihre Produktion wird insgesamt schlanker und dadurch günstiger. Doch die „Ausstattung als Monats-Abonnement“ hat noch einen weiteren Vorteil: Man kann unter Umständen doppelt abrechnen. Denn während man den Schritt für viele Kunden so erklärt, dass man etwa die Sitzheizung nur für wenige Monate (CHF 29/Monat) im Jahr braucht und deshalb nicht den vollen Optionspreis zahlen müsse, so geht die Rechnung für BMW vor allem auf lange Sicht auf. Wenn der Erstkunde die Option auf drei Jahre (CHF 339) bucht, dann hat man in München annähernd den gleichen Betrag umgesetzt, wie beim Direktkauf ab Werk – nur das der Zweitkunde nach dem Gebrauchtkauf wieder ohne Sitzheizung auskommen muss. Er wird sie also ebenfalls noch einmal buchen. So verdient man doppelt. Oder dreifach – sofern das Fahrzeug noch durch weitere Hände geht. Einzig die Option „unbegrenzte Laufzeit“ (CHF 499) koppelt die Sitzheizung dann für immer an die passende Fahrgestellnummer und schaltet den Wärmespender für die kalten Tage dauerhaft frei.

Unbegrenzte Möglichkeiten

Auch bei den Fahrerassistenzsystemen scheinen die Möglichkeiten grenzenlos. Die EU verlangt beispielsweise Notbremsassistenten und Verkehrsschilderkennung in jedem Neufahrzeug. Dafür braucht es neben Kamerasystemen meist auch Radarsensorik. Mit diesen Systemen in Kombination lassen sich alle derzeit bekannten Anwendungsfälle abdecken: Vom adaptiven Tempomaten, hin zum Spurwechselassistenten und Spurhalteassistenten. Sofern man sie bezahlt. Bleibt die Frage: Wo ist die Grenze des Systems? Welche Ausstattungen lassen sich nicht so einfach vorrüsten? Bei Tesla etwa kann man sogar eine gesteigerte Motorleistung nachträglich freischalten lassen, weil der Elektromotor dies hergibt.

Weniger Suche bei den Occasionen

Spannend ist die Abonnement-Ausstattung allerdings auch für den Occasionenmarkt. Man muss im Zweifel nicht mehr lange suchen, bis das passende Auto gefunden ist. Eines in Farbe und Interieur passendes Angebot reicht – der Rest an Wunschausstattung kann nachträglich gebucht werden. Oder über findige Programmierer im Stile eines Jailbreaks codiert und freigeschaltet werden, was dem Begriff Chiptuning eine völlig neue Bedeutungsdimension geben würde.

Diskutieren sie mit

Die Branche ist derzeit wirklich stark im Wandel, nicht nur was die Antriebsart angeht. Der Vorstoss von BMW zeigt, dass man sich auch anderweitig Gedanken zum Geldverdienen macht. Selbst die Verkäufe der Fahrzeuge stehen in Frage, Stellantis etwa schätzt, dass man mit der Full-Service-Abo ganzer Fahrzeuge bis zum Ende des Jahrzehnts jährlich über 20 Milliarden Euro umsetzen könnte.

Was halten Sie von der Idee, diskutieren sie mit uns unter redaktion@auto-illustrierte.ch

Text: ai Online Redaktion/DF/FM
Bilder: ai Online Redaktion/BMW

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