Hersteller als Dienstleister

Sharing is caring: Neue Ideen zur Mobilität der Zukunft

Einfach nur ein Auto nach dem anderen auf die Strasse zu bringen, reicht nicht mehr. Im Zeitalter der Digitalisierung werden die Autohersteller immer mehr zu Mobilitätsdienstleistern, um neue Angebote zu entwickeln und neue Zielgruppen zu erschliessen.

Veröffentlicht am 20.01.2020

Manchmal muss man die Welt mit anderen Augen sehen. Oder den Blick etwas weiter als bis zur Nasenspitze richten. Schaut man sich nur die absoluten Auto-Verkaufszahlen an, könnte man nicht meinen, dass es die Autoindustrie auch nur im Entferntesten nötig hätte, etwas am bewährten Konzept zu ändern. Die Hersteller überbieten sich mit Absatzrekorden, der chinesische und der amerikanische Markt boomen nach wie vor, und auch in der Schweiz sind die jährlichen Verkaufszahlen tendenziell steigend.

Allerdings wird sich dieser Trend früher oder später umkehren. Ausserdem stehen die Autobauer zunehmend unter Druck: Immer mehr junge Leute wenden sich vom (eigenen) Auto ab, grosse Städte verlangen nach neuen Mobilitätskonzepten und zu guter Letzt sorgt die Klimadebatte dafür, dass das Auto generell kritisch betrachtet wird – egal ob SUV oder Kombi, egal ob E-Mobil oder Verbrenner. Folglich müssen neue Ideen her, denn das Bedürfnis nach Mobilität wird in Zukunft zu- und nicht abnehmen. Das ebnet neuen Start-ups, welche eine Mobilitätsdienstleistung anbieten, den Weg, doch die Autobauer wollen diesem Treiben nicht tatenlos zusehen.

Anbieter von Autoabos sind immer häufiger am Markt anzutreffen. Auch die Versicherung Axa mischt mit.

Anbieter von Autoabos sind immer häufiger am Markt anzutreffen. Auch die Versicherung Axa mischt mit.

Autoabo

Die ersten Ansätze sind einfach gestrickt, dafür bereits am Markt erhältlich. Um den Kunden mehr Flexibilität zu bieten und ihnen die Verpflichtungen, die ein eigenes Auto mit sich bringt, wegzunehmen, bietet beispielsweise GM im Grossraum Zürich ein Autoabo an. Man registriert sich, zahlt je nach Laufzeit zwischen 1900 und 2100 Franken im Monat und kann dafür ohne eigenes Auto rund um die Uhr mobil sein: Mal eine Woche Escalade fahren, dann ein Wochenende Corvette und schliesslich den CT6. Der Clou dabei ist, dass ein Concierge einem das neue Auto vorbeibringt und das bisherige abholt. Abgesehen vom Treibstoff sind sämtliche Kosten im Autoabo inklusive. Auch Volvo hat ein ähnliches Angebot im Köcher und wird es noch dieses Jahr in der Schweiz lancieren. Allerdings richten sich die Angebote von GM und Volvo eindeutig an die eher wohlhabende Premium-Klientel.

Ein Angebot für die breite Masse hat die Amag mit dem dafür gegründeten Start-up Clyde am Markt. Concierge-Service und sonstige Goodies entfallen, ausserdem muss man sich für ein Auto entscheiden. Doch das Prinzip ist dasselbe: Das gewählte Auto fährt man je nach Kilometerleistung – bis zu 2500 Kilometer im Monat sind möglich – im Flatrate-Tarif, der sämtliche Kosten ausser Tanken und Parkieren beinhaltet. Die Mindestlaufzeit beträgt kurze drei Monate, anschliessend kann man das Abo jederzeit künden und das Auto wieder zurückgeben.

Ein weiterer Vorteil des Autoabos im Gegensatz zu herkömmlichen Mietverträgen ist, dass man sich als Abonnent dennoch im Besitz eines eigenen Autos wähnt. So darf man «sein» Auto ausleihen, und es ist zudem auch im eigenen Wohnkanton immatrikuliert. Schliesslich kann man einem waschechten Zürcher doch nicht zumuten, mit einem Aargauer Kennzeichen in der Gegend herumzufahren, oder?

Die letzte Meile

Etwas weiter geht die Idee der sogenannten letzten Meile. Sie beschreibt den Weg, der vom Autoabstellplatz bis zum effektiven Ziel anfällt. Eine in den Städten omnipräsente Methode, diese Strecke zurückzulegen, sind die wie Pilze aus dem Boden spries-senden Elektro-Roller, die via App bedient werden. Auch einige Autohersteller wie etwa Peugeot oder Hyundai liebäugeln mit diesem Konzept, allerdings wäre der Roller bereits fix im Kofferraum des jeweiligen Modells installiert. Jedoch sind das bis anhin nur Konzepte, die es noch nicht auf den Markt geschafft haben. Es ist ohnehin fragwürdig, ob dieser Zug angesichts der Drittanbieter nicht bereits abgefahren ist.

Sharing is caring: Via Volvos On-Call-App kann man sein Auto mit Freunden und Bekannten teilen.

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Carsharing

«Sharing is caring!» Diesen Ansatz verfolgt unter anderem Volvo. Mittels der Volvo-on-Call-App ist es möglich, Freunden und Familienmitgliedern einen zeitlich beschränkten Zugang zum Auto zu gewähren, sodass sie das Auto selbst ohne Schlüssel starten können. Auch andere Autohersteller ziehen diese Methode des privaten Carsharings in Betracht. Mit dieser Methode kann die Standzeit des eigenen Autos verringert und die Anzahl der Autos pro Haushalt unter Umständen reduziert werden.

Sehr gross im Kommen ist ebenfalls das klassische Carsharing, wie wir es hierzulande vor allem von Mobility kennen. Immer mehr Autohersteller stellen vor allem in Deutschland eine Carsharing-Flotte zur Verfügung. Einen Schritt weiter geht VW, die in Hannover und Hamburg mit dem Uber-ähnlichen Fahrdienst Moia einen elektrischen Fahrdienstleister entstehen lassen.

Mehr als nur Autos: Seat hat ein E-Trottinett sowie einen E-Roller für die urbane Mobilität vorgestellt.

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Mehr als nur Autos

Sich selbst im Zwei-Tonnen-SUV innerhalb der Stadt fortzubewegen, ist zwar komfortabel, aber ökologischer Nonsens. Dazu kommt, dass die Staustunden in den Metropolen dieser Welt definitiv steigen und nicht sinken. Es braucht also Alternativen, und diese überlassen die Autohersteller nur ungerne der Konkurrenz, sondern präsentieren gleich selber Lösungen. Mercedes setzt in der Schweiz auf die Hilfe der SBB. Wer einen EQC erwirbt, erhält gleichzeitig ein monatliches Guthaben von 40 Franken für das gesamte Schweizer ÖV-Netz.

Einen komplett eigenen Weg geht Seat. So haben die Spanier einen Elektro-Scooter sowie einen zweisitzigen Elektro-Citywagen entworfen, womit man sich in der Stadt nicht nur ökologischer, sondern aufgrund der geringen Grösse auch flotter bewegen kann. Auch japanische Hersteller haben schon Konzepte gezeigt, wie man sich mit Mini-Autos in der Stadt künftig fortbewegen kann. Was dabei häufig vergessen geht: Der grosse Vorreiter dieser Fahrzeugkategorie, der Renault Twizy, ist bereits seit dem Jahr 2012 im Handel. Gut möglich, dass Renault mit seinem elektrischen Kleinstwagen zu früh dran war.

Erweiterung des Portfolios

Dass die angebotenen Mobilitätsdienstleistungen den klassischen Autokauf verdrängen, wird in absehbarer Zukunft noch nicht der Fall sein. Nichtsdestotrotz tun sich die Autohersteller gut daran, neue Marktfelder und sogar -lücken zu erobern. Im Zuge der Digitalisierung wird sich die Mobilität aller im Laufe der nächsten Jahre verändern. So gesehen können es sich letztendlich nur noch Luxus- und Sportwagenhersteller leisten, ihrem Geschäftsmodell treu zu bleiben.

Koray Adigüzel


Eine Einheit

Das Denken der Individualmobilität wird in der zukünftigen urbanen Mobilität keinen Platz mehr finden. Stattdessen verschmelzen verschiedene Mobilitätsangebote miteinander.

Wer heute verschiedene Verkehrsdienstleister kombinieren will, muss jedes Mal separat abrechnen oder im Besitz diverser Abonnements sein. Das wird und muss sich in Zukunft ändern. Welcher Player auch immer ein Mobilitätsangebot schnüren kann, der verschiedenste Transportwege und Verkehrsmittel beinhaltet, wird letztendlich die Nase vorn haben. Das ist mitunter auch ein Grund dafür, warum sich Autobauer fleissig mit anderen Unternehmen, die eine Mobilitätsdienstleistung erbringen, zusammentun.

Das Auto als Wohnzimmer

Ein gänzlich neues Mobilitätserlebnis wird das vollautonome Auto ermöglichen. Wie man sich ein solches Auto vorstellt, respektive welche Möglichkeiten es bieten soll, haben diverse Studien unterschiedlicher Hersteller bereits demonstriert. Das Auto wird dann als Lebensraum betrachtet, indem man ähnlich wie zu Hause relaxen und sich unterhalten oder als Geschäftsreisender die Reisezeit als Arbeitszeit nutzen kann.

Was bei solch einem Auto «unter der Haube» steckt, ist dann völlig irrelevant. Viel wichtiger ist dann das Infotainmentsystem beziehungsweise die Atmosphäre im Auto. Übrigens: Die Existenz von autonomen Autos schliesst die Existenz von herkömmlichen Autos nicht aus. Warum also sich entscheiden müssen, wenn man beides haben kann?

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