Test

Lamborghini Aventador SVJ - Feierabend

Es ist eine letzte Ausfahrt mit einem Lamborghini Aventador SVJ. Er wird sterben müssen, genau wie der freisaugende Zwölfzylinder in diesem Vieh von einem Fahrzeug. Und deshalb wollen wir innehalten, demütig, ihn mit einem Lächeln verabschieden.

Veröffentlicht am 15.01.2023

Es ist eine wunderbare Strasse dort, von Bologna zuerst noch nördlich nach Sasso Marconi, dann über Pianoro nach Loiano und Monghidoro hoch auf den Raticossa. Eine dieser Mille-Miglia-Legenden. Es ist kaum Verkehr. Warum auch, alle fahren über die A1. Aber auch deshalb sind die Strassen nicht gut, viele Schlaglöcher, eng – sehr eng teilweise.

Es ist nicht das optimale Geläuf für einen 770 PS starken und 2,09 Meter breiten Sportwagen wie den Lamborghini Aventador SVJ, man kommt ja nie über den dritten Gang hinaus. Doch wir haben gerade keine Rennstrecke zur Hand und auf die verstopfte Autobahn wollen wir auch nicht. Bleiben uns also jede Menge Kurven und dann ein Espresso oben auf dem Pass.

Richtig, richtig böse

Unterdessen hat Lamborghini als wirklich letzte Ausbaustufe des Aventador zwar noch den Ultimae nachgereicht. Doch eigentlich ist so ein SVJ das, was man haben will. Unverfälscht und richtig, richtig böse, auch optisch. Er hat diese hinten hochgezogenen Kaminrohre, auch Auspuff genannt, und er hat vor allem ALA (Aerodinamic Lamborghini Attiva). Da arbeitet der Lamborghini mit dem Wind.


Zerklüftet und richtig böse wirkt der Aventador SVJ aus wirklich jedem Winkel.

In der Kurve kann ALA den Anpressdruck asymmetrisch erhöhen, also in der Linksbiegung links mehr Druck ausüben und die rechte Seite entsprechend entlasten. Vor allem aber gibt es einen mächtigen, schön geformten Heckspoiler. Der muss einfach sein, nur schon für das Gefühl. Und auch deshalb, weil er sämtliche Sicht nach hinten verbaut. Wer will schon in einem Aventador SVJ nach hinten schauen? Ob ALA uns auf dem Weg zum Raticossa jetzt schneller gemacht hat, wagen wir zu bezweifeln. Ist aber auch nicht so wichtig.

Aber ja, wir können Ihnen versichern, dass wir schnell waren. So richtig. Auch wenn nicht die nahezu profillosen Pirelli-Trofeo-R-Reifen, die es gegen Aufpreis gibt, montiert waren, so verfügt der Allradler doch über jenseitig viel Grip. Der SVJ ist zwar betont hecklastig ausgelegt, die Hinterradlenkung hilft da auch noch etwas mit, doch das Ding macht keinen Wank. Nichts, auch wenn man mit Verve versucht, es hinten zum Ausbrechen zu bringen.

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Die hinteren Räder drehen zwar manchmal durch, gerade wenn man im ersten Gang aus der engen Kurve hinausbeschleunigt, doch der Aventador hält auch dann eisern die Spur. Für gröbere Manöver fehlte uns da auf der engen Strasse schlicht und einfach der Platz. Doch wir wollten das ja auch gar nicht, wir wollten einfach schön flüssig und schnell hoch auf den Berg. Und da kommen uns jetzt nicht viele Fahrzeuge in den Sinn, mit denen das besser, flotter, spassiger geht als mit diesem Lamborghini Aventador SVJ.

Das Auge hört mit

Das hat ganz viel mit dem Motor zu tun. Es ist ein herrliches Aggregat. Zwölf Zylinder in V-Anordnung, 6,5 Liter Hubraum, 770 PS bei 8500/min, ein maximales Drehmoment von 720 Nm bei 6750/min. Dieser Motor, der leicht zur Seite versetzt eingebaut ist und seine urige Kraft auf alle vier Räder abgibt, soll den trocken 1525 Kilogramm schweren SVJ in nur 2,8 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen – und in 24 Sekunden auf 300 km/h. Als Höchstgeschwindigkeit sollen über 350 km/h möglich sein.


So lecker kann nur Lamborghini einen Motor anrichten.

Doch grau ist alle Theorie – und herrlich laut die Maschine, wenn sie bei 8700/min in den Begrenzer knallt. Opera buffa, das ganz grosse Theater, wie es halt nur die Italiener können, für die anscheinend andere Lärmgrenzwerte gelten als für andere Hersteller. Und das ganz direkt mitten ins Ohr und dann ins Hirn.

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Zwölf Zylinder in einem Winkel von 60 Grad, ganz klassisch, sind und bleiben die edelste Form von Motorenbau. Es muss wieder einmal geschrieben sein: Spätestens seit dem Miura sind die Lamborghini-Motoren optisch schlicht die schönsten. Da sollten sie in Maranello vielleicht einmal drüber nachdenken. Das Auge hört ja auch mit.

Abschied mit Wehmut

Und so sitze ich oben auf dem Raticossa, trinke einen Espresso, um mich herum vor allem Töfffahrer. Doch auch sie schauen verschämt auf das Vieh, das dort auf dem Parkplatz knistert und knackt, nähern sich ihm ehrfürchtig und zücken die Kamera. Er war nie elegant, der Aventador, er war immer das Brett vor dem Kopf, er wollte nie etwas anderes sein als das Sinnbild für automobile Kompromisslosigkeit – und genau das macht seine Faszination immer noch, immer wieder aus. Es wird auch nie wieder so ein Automobil geben, alles nach dem SVJ kann nicht anders als lauwarm sein.


So viel Platz ist um einen Lamborghini eigentlich nie. Den Aventador SVJ umrunden stets Trauben von Menschen.

Also, weiter, noch bis zum Futa, dann eine breitere, weitere Landstrasse zurück Richtung Bologna. Dort ist er erst recht in seinem Element. Der Lamborghini gefällt mit etwas Restkomfort, einer unglaublich präzisen Lenkung, wahnsinnigen Bremsen. Das Problem ist: Ich bewege mich dauernd in Geschwindigkeitsbereichen, die dann wohl auch der grosszügigste italienische Freund und Helfer nicht mehr angebracht finden würde.

Aber man kann gar nicht anders im Aventador. Es ist eine Sucht, diese unfassbare Beschleunigung, dieser grossartige Lärm, dieser Ausdruck von Kraft und Macht. Das Fingerschnippen an den riesigen Paddels für den nächsthöheren Gang sowieso. Latscht man so richtig auf das Bremspedal, dann setzt das Kleinhirn kurz aus, der Körper wird von den Gurten zurückgehalten, der Kopf setzt noch zum Überholen an.

Als ich dann wieder in den Grossstadtverkehr rund um Bologna eintauche, beschleicht mich Wehmut. Ich streiche sanft über das Alcantaralenkrad des SVJ, berühre mit einer gewissen Demut das in Karbon und anderen feinsten Materialien ausgekleidete Innenleben des Lamborghini. Ach, das können sie einfach besser in Italien als irgendwo sonst. Die Verarbeitung ist wunderbar, das Zusammenspiel von Farben, Handwerk, Qualität, Liebe noch zum kleinsten Detail ist auf einem Niveau, das nur im «Motor Valley» rund um Modena existiert. Ich streichle ein Automobil? Das hier ist auch ein Abschied. Es ist vorbei, ich muss es akzeptieren. Aber es tut weh.

Political correctness

Es kommen jetzt noch 600 Aventador Ultimae – 350 Coupé, 250 Roadster – ein paar wenige SVJ-Slots sind noch offen. Dann ist Schluss. Es ist sowieso Schluss mit allem Bösen, Groben, Lauten. Ferrari hat sich schon vor Längerem in die vegane Abteilung verabschiedet, political correctness, zu den elektrifizierten Heulbojen. Auch der Nachfolger des Aventador wird verstromert werden – Brüssel will das so.

Und ja, wahrscheinlich ist das auch der richtige Weg für das Klima und die Umwelt und das Leben auf diesem Planeten. Aber wir werden ihn trotzdem vermissen, den Aventador, dieses Sinnbild für die allerhöchste Evolutionsstufe des Verbrenners. Hat man das Spaziergeld, dann ist dies nun wahrlich die letzte Möglichkeit, den eigenen Irrsinn – und Zwiespalt – noch zu befriedigen.

Text: Peter Ruch
Bilder: Peter Ruch/Lamborghini

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