Erster Probegalopp im Gelände

Ineos Grenadier – Die Grenadiere kommen

Endlich! Wir durften den mit viel Spannung erwarteten Ineos Grenadier fahren. Und wir waren mehr als überrascht. Das Konzept von Sir Jim Ratcliffe, Gründer des Chemieunternehmens Ineos und Milliardär, ist denkbar einfach: Man nehme das Beste vom Land Rover Defender. Dann baut man die besten Komponenten bewährter Zulieferer ein. Und schafft so einen hochmodernen, echten Offroader. Gesagt - getan. Bis auf die Silhoutte und das Grundprinzip Leiterrahmen, Starrachsen und Allradantrieb erinnert kaum etwas am neuen Ineos Grenadier an den Defender.

Veröffentlicht am 23.02.2022

 

Neuentwickelte Kopie

Dass der im Werk im französischen Hambach gefertigte Ineos Grenadier mitnichten ein billiger Nachbau, sondern eine komplette, hochkomplexe Neuentwicklung seines Vorbildes ist, konnten wir anlässlich der Werksbesichtigung feststellen. Und haben bereits darüber berichtet (Hambach – Grenadier-Vorproduktion läuft). Die auf dem Testgelände in einer alten Mine bei Crehange (F) vor uns stehenden Testwagen verdichten diesen Eindruck: Extrem robuste Bauweise, uriges Äusseres und schlichtes, aber hochfunktionales Inneres. Ein imposanter Auftritt mit eindeutiger Referenz an den Land Rover Defender, mit feinen Nuancen, welche an die Versuche des in Spanien in Lizenz gebauten Santana PS-10 oder noch entfernter an den von Giugiaro gestalteten Iveco Massif erinnern.

 

Nur das Beste

Und die Entwickler des Ineos Grenadier haben den Auftrag von Sir Ratcliffe wortwörtlich umgesetzt. Nur die besten Komponenten der bewährtesten Zulieferer werden verwendet: Motoren von BMW, das Getriebe von ZF, Achsen von Carraro, Federn von Eibach, Lenkungsdämpfer vonBilstein und Dämpfer von ZF. Obendrauf das unmittelbar Spürbarste, Sitze aus dem Hause von Recaro. Und das allerbeste,  die Sitze sind so verbaut, dass Mann auch mit 182cm Körpergrösse bequem sitzen kann.

 

Ich will fahren!

Eine gefühlte Ewigkeit verstreicht, endlich soll das Rumtigern um die blitzblank sauberen Prototypen ein Ende haben. «Wollen wir fahren?» - Blöde Frage, denke ich mir, deshalb bin ich ja gekommen. Der Step-in erfordert gerade etwas Kraft in den Oberschenkeln. In den Recaro’s sitzend überwältigen einem die vielen, grosszügig angeschriebenen Schalter und Knöpfe im vertikal angeordneten Armaturenbrett und der horizontal angeordneten Dachkonsole. Grosszügig beschriftet, auch ohne Lesebrille lesbar, mit ausreichender Distanz zwischen den einzelnen Schaltern, damit diese selbst mit Handschuhen im rüttelnd schwankenden Auto treffsicher bedient werden können. Die Prototypen sind noch mit Hosenträgergurten und zwei gelb-roten Not-Aus-Buzzern ausgestattet. «Erreichst du diese?», fragt mich mein Fahrinstruktor und Testpilot Werner Tscherscheck, dann kann ich den Motor starten. Der Benziner-Reihen-Sechszylinder schnurrt kaum hörbar, obschon die Prototypen noch nicht vollumfänglich schallisoliert sind. Etwas fremd und filigran wirkt der BMW-Schalthebel im sonst so rustikalen Interieur, ebenso das Multifunktions-Lenkrad mit seinem knallroten runden Hup-Knopf, auf welchem sinnigerweise ein Fahrrad mit der Bezeichnung «Toot» hinterleuchtet prangt. Ich denke mit Schmunzeln an die teilweise unschönen Begegnungen mit verbissenen Mountainbikern in den Westalpen und freue mich schelmisch, diese Hupe irgendwann bei solcher Gelegenheit einzusetzen.

 

Drehmoment über alles

Zögernd setze ich den Ineos Grenadier Richtung Mine in Bewegung. Das träge Wanken deutet auf das relativ hohe Gewicht des Wagens hin. Unmerklich schaltet die ZF-8-Gang-Automatik rasch in den dritten Gang hoch. Werner ermahnt mich, beide Hände ans Lenkrad zu halten. Wem sagt er das? Müsste ich als altgedienter Offroad-Instruktor wissen! Manuell schalte ich das Reduktionsgetriebe auf Low und steche durch die knapp 30 cm tiefe, lehmige Humus-Erde hinunter in die Deponie, die Motorbremswirkung hält den Wagen ungebremst auf Schritttempo. Trotz der 35,5 Grad Böschungswinkel setzt die Front mit einem sanften Plopp, fast unmerklich kurz auf. Im tiefen Schlamm pflügt sich der Grenadier spielend durch, um anschliessend eine frische Spur in der fast 100 Prozent Steigung durch den Dreck zu ziehen. Der sehr geringe Wendekreis macht das Rangieren und Wenden einfach. Ich versuche in einem weiteren Anlauf, den Wagen in der nächsten Steigung festzufahren, aber es gelingt mir nicht. Bestechend wirken die elektronisch gesteuerten Differenzialsperren auf die Vorder- und Hinterachse. Selbst ein Stopp mitten im Aufstieg verhindert das Anfahren und die Weiterfahrt nicht. Das Drehmoment des 3-Liter-Benziners mit seinen 450 Newtonmeter Drehmoment befördert die Masse des Autos scheinbar mühelos den Hang hinauf. Unglaublich! Ich schaffe es doch, den Grenadieren im Dreck festzusetzen! Nächster Versuch, eine ein Meter tiefe Querrinne: Im Schritttempo quere ich diese mit 45 Grad Anfahrtswinkel, halte, wiege in hin und zurück mit dem Versuch, die Verschränkung auszureizen, um stehenzubleiben. Nichts dergleichen! Wie eine Katze schleicht sich der Grenadier auch aus dieser grenzwertigen Situation.

 

Auch ein Asphaltfresser?

Eigentlich bin ich enttäuscht, dass ich mit sämtlichen Versuchen scheiterte, andererseits stolz. Stolz auf was? Mein fahrerisches Unvermächtnis oder die wahrhaftig beeindruckende Geländetauglichkeit des Grenadier? Leider konnten die Prototypen nur auf dem Minengelände gefahren werden, aber mit knapp 70 km/h auf Schotterpiste zeigte sich, dass er wohl auch als Asphaltfresser seine Qualitäten haben wird. Jedenfalls schluckt das Fahrwerk die Schläge und Löcher souverän weg und lässt die Kiste schweben. Einziger Anlass zum Bedenken geben einem die zahlreichen elektronischen Sensoren und Prozessoren und die Frage, wie sich diese wohl im tagelangen Hardcore-Einsatz und permanentem Rechenbetrieb bewähren werden.


Fazit:

Geil! Einfach nur geil! Mit einiger Skepsis, gespannt darüber, was er können mag, bin ich angereist. Begeistert, überzeugt und richtig «spitz» daheim angekommen, um gleich darauf «meinen» Grenadieren online zu konfigurieren und – eine Präskription zu kaufen! Die Kaufoption kostet 450 Euro, und ich reihe mich damit mit gut 15'000 weiteren potentiellen Käufern in die Schlange der Wartenden. Diese werden von der Verkaufsorganisation militärisch freundlich als «Reservisten» benannt, irgendwie passend für einen Grenadieren. Mehr gibt es derzeit nicht zu sagen.


Text: Markus Mehr
Fotos: Ineos

 

Provisorische Daten:

- BMW-Reihensechszylinder, 3 Liter Hubraum, Diesel oder Benziner
- Benziner: 285 PS, 450 Nm
- Diesel: 249 PS, 550 Nm
- ZF-8-Gangautomat, permanenter Allradantrieb, Geländeuntersetzung
- 3 Differentialsperren
- Leiterrahmen-Chassis mit Starrachsen
- L/B/H 4927/1939/2033 mm, Radstand 2922 mm
- Böschungswinkel v./h.: 35,5/36,1 Grad, Rampenwinkel 28,2 Grad
- Bodenfreiheit 264 mm, Watttiefe 800 mm
- Anhängelast gebr./ungebr. 3500/750 kg
- Räder 265/70 R17 oder 255/70 R18
- Preis ca. ab 65'000 Franken

 

Mehr Bilder vom Ineos Grenadier:

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