Brennstoffzelle

Die Wahrheit über die Brennstoffzelle

Viele sehen im Wasserstoffantrieb den Heilsbringer CO2-neutraler Mobilität. Aber es gibt viele Vorurteile. Was stimmt und was nicht? Wir bringen Licht ins Dunkel.

Veröffentlicht am 27.12.2021

«Autos mit Brennstoffzelle sind gefährlich.» 

Dieses Gerücht erhielt durch einen Unfall an einer Wasserstofftankstelle in Norwegen neue Nahrung, aber der Unfall bewies vor allem: Wasserstoff (H2) brennt und bildet mit Sauerstoff bei einem H2-Anteil von 4 bis 75 Prozent ein zündfähiges Gemisch; explosiv ist es ab einem H2-Anteil von 18 Prozent. Doch das kommt nicht leicht zustande: Wasserstoff ist gut 14-mal leichter als Luft und verflüchtigt sich schnell. Problematischer ist es, wenn sich Wasserstoff in nach oben geschlossenen Hohlräumen fängt. Allerdings müssten die sehr dicht sein, denn Wasserstoff dringt durch kleinste Ritzen.

Bereits 2003 haben Forscher der University of Miami (USA) einen Test gemacht: Sie setzten ein Auto mit Benzintank und eines mit Wasserstoff-Drucktank in Brand, jeweils mit lecken Treibstoffleitungen. Was passierte? Beide Fahrzeuge fingen erwartungsgemäss Feuer. Unterschiede ergaben sich aber beim Verlauf: Der Benziner stand nach 60 Sekunden lichterloh in Flammen und brannte vollständig ab, das Wasserstoffauto blieb weitgehend unversehrt, weil der Wasserstoff schnell in einer gewaltigen Stichflamme nach oben schoss, dabei aber kaum Schaden anrichtete.

«Wasserstoff lässt sich nur mit Verlusten in Tanks speichern.»

Beim BMW Hydrogen 7 von 2006 (Bild unten), der Wasserstoff in einem Hubkolbenmotor verbrannte, war das Gas im thermisch hochisolierten Tank bei grosser Kälte (–250 °C) verflüssigt gespeichert, erwärmte sich aber natürlich trotzdem. Damit der Druck nicht zu hoch wird, muss der Wasserstoff als Gas aus dem Tank entweichen können. Der halbvolle Flüssigwasserstofftank des Hydrogen 7 leerte sich so in neun Tagen. Für die Umwelt wäre das kein Problem, für den Nutzer schon.

Aktuelle Brennstoffzellenautos führen den Wasserstoff gasförmig in 700-Bar-Drucktanks mit. Nach Erfahrungen mit CNG (komprimiertes Erdgas) sind deren Wände mehrlagig aus verschiedenen Materialien, sodass selbst die winzigen Wasserstoffatome kaum hindurchdiffundieren können. Verluste sind also inzwischen marginal. Beim Komprimieren (gut zwölf Prozent) fallen sie weiterhin an. Der hohe Druck macht das Tanksystem aufwendig. Es wiegt rund 125 Kilogramm und fasst etwa beim Mercedes GLC F-Cell 4,4 Kilogramm. Der Verbrauch pro 100 Kilometer liegt bei circa einem Kilogramm, die Reichweite also bei gut 400 Kilometern. Zum Vergleich: Bei einem Tesla Model S mit ähnlicher Reichweite wiegt der Akku rund 650 Kilogramm.

«Wasserstoffautos sind ineffizient.»

Moderne Brennstoffzellen erreichen laut Prof. Dr. Christian Mohrdieck, verantwortlich für die Brennstoffzellen-Entwicklung im Daimler-Konzern, einen Wirkungsgrad von 83 Prozent, das Gesamtfahrzeug kommt auf gut 50 Prozent – Elektroautos auf 90 Prozent. Verluste entstehen hier vor allem beim Schnellladen – dann kann der Wirkungsgrad auf 75 Prozent sinken.

Betrachtet man die ganze Kette von der Wasserstofferzeugung bis zur Umwandlung in elektrische beziehungsweise kinetische Energie, kommt das Brennstoffzellenauto auf einen Wirkungsgrad von nur noch 29 bis 32 Prozent. Damit ist es nur geringfügig besser als ein Benziner (22 %) oder ein Diesel (25 %). Aber selbst wenn der Wasserstoff aus Erdgas gewonnen wird, ist der Wirkungsgrad des Brennstoff-zellenautos «Well-to-Wheel» (vom Bohrloch bis zum Rad) um etwa 25 Prozent besser als beim Benziner.

Sogar das Elektroauto ist bei einer «Well-to-Wheel»-Betrachtung (inklusive Stromerzeugung) nur minimal besser als das Brennstoffzellenauto. Wichtig: Die Brennstoffzelle als Energiewandler – sie wandelt Wasserstoff in elektrischen Strom um – kann nie genauso effizient sein wie eine Batterie als blosser Energiespeicher. Dafür kann die Abwärme der Brennstoffzelle für die Beheizung der Fahrzeuge genutzt werden.

Im Grunde ist die Wirkungsgrad-Diskussion akademisch, denn wichtiger ist die CO2-Bilanz. Und da sieht es gut aus für die Brennstoffzelle. Der grosse Vorteil des Wasserstoffs: Als transportabler Speicher für grosse Energiemengen ist er unschlagbar. Das dürfte vor allem bei LWs und Bussen entscheidend werden. Und als stationärer Energiespeicher ist Wasserstoff Batterien erst recht überlegen: vielseitiger, flexibler, billiger.

«Wasserstoff muss erzeugt werden; das kostet viel Energie»

Wasserstoff, so weiss Wikipedia, «ist das häufigste chemische Element im Universum, jedoch nicht in der Erdrinde». In der Tat ist die Ausbeutung molekularer Wasserstoffvorkommen auf der Erde kaum möglich. Andererseits ist Wasserstoff vergleichsweise einfach zu gewinnen, grundsätzlich in beliebigen Mengen, da er eben in Wasser enthalten ist. Auch aus fossilen Energieträgern wie Erdgas lässt er sich erzeugen. Potenziell «grün» ist hingegen die Erzeugung durch Elektrolyse – wenn der dazu benötigte Strom CO2-neutral entsteht. Die Elektrolyse funktioniert, vereinfacht gesagt, indem man ein Wasserbecken unter Spannung setzt. Dann steigt an der Kathode Wasserstoff und an der Anode Sauerstoff auf. Beides zusammengeführt erzeugt via Brennstoffzelle wieder Strom – und Wasser. Im Prinzip ein wunderbarer Kreislauf – vor allem mit CO2-neutralem Strom. Den brauchen wir ohnehin. Dann spielen nicht mehr der Wirkungsgrad, sondern Speicher- und Transportfähigkeit die entschei-dende Rolle, denn bei alternativer Energiegewinnung kommt es zu grossen Spitzen. Den Speicherbedarf beziffern Experten beispielsweise für Deutschland auf 200 bis 300 Terawattstunden pro Jahr.

Wasserstoff könnte zudem bei der Stahlproduktion CO2 reduzieren, wenn er in Hochöfen Koks als Brennstoff und Reduktionsmittel ersetzt. Mit Wasserstoff entsteht bei der Stahlerzeugung selbst kein CO2, allerdings braucht es dann mehr externe Energie. Entstehen diese und der Wasserstoff aus regenerativen Quellen, geht die CO2-Einsparung gegen 100 Prozent. Was das mit Autos zu tun hat? Erstens bestehen sie zu grossen Teilen aus Stahl, und zweitens bräuchte dann eine ganze Industrie viel mehr Wasserstoff, als der Verkehr jemals benötigen dürfte, sprich: Es würde vermutlich viel Wasserstoff erzeugt, sodass die Versorgung von Autos kein Problem wäre. Schon die aktuell in Deutschland erzeugte Menge an Wasserstoff reichte für etwa 750 000 Autos.

«Die CO2-Bilanz der Wasserstoffautos ist schlecht.»

Das ist ein Trugschluss. Batterieelektrisch angetriebene Autos sind zwar beim Wirkungsgrad «Tank-to-Wheel» – also vom Stromtanken bis zum Fahren – schwer zu schlagen. Aber beim aktuellen Strommix ist die CO2-Bilanz des Brennstoffzellenautos über die gesamte Lebensdauer etwas besser als die von E-Autos. Und was die Produktion angeht, spricht nichts dagegen, dass Autos mit Brennstoffzelle dieselbe Entwicklung durchlaufen wie Elektroautos. Die verursachen in der Herstellung heute noch 80 Prozent höhere CO2-Emissionen als ein Verbrenner, sparen aber im Fahrbetrieb mit konventionellem Strommix etwa 65 Prozent CO2 gegenüber diesem ein. Dadurch sind ihre Gesamtemissionen an CO2 über den ganzen Lebenszyklus bei gleicher Laufleistung um mindestens 40 Prozent geringer. Gelingt es, das Batteriefahrzeug nur mit regenerativem Strom zu betreiben, schrumpfen seine CO2-Emissionen über den Lifecycle betrachtet um 70 Prozent gegenüber einem Verbrenner. Auf sehr ähnliche Zahlen kommt der Brennstoffzellenantrieb, der in der Herstellung weniger, im Fahrbetrieb aber mehr Emissionen als das Batteriefahrzeug verursacht und bei dem die Bereitstellung des Wasserstoffs einen grossen Einfluss auf den Gesamteffekt hat.

Der Vorsprung von E-Autos in der CO2-Bilanz wird in Zukunft weiterwachsen, denn «die Optimierung der Batterietechnologie und -produktion bietet ein grosses Potenzial für weitere Einsparungen», heisst es etwa bei Mercedes. Schon heutige Batterien verursachen in der Herstellung rund 25 Prozent weniger CO2-Emissionen als solche der ersten Generation. Für die nächste Generation stellen Experten Einsparungen in derselben Grös-senordnung in Aussicht: Die künftigen Batterien werden also nur noch halb so hohe CO2-Emissionen in der Herstellung verursachen wie die erste Generation und ein Drittel weniger als die heutige.

Insgesamt ist das Brennstoffzellenauto trotz eigener – vergleichsweise kleinerer – Batterie mindestens so CO2-arm wie das rein batterieelektrische Auto. Aber mit Wasserstoff lässt sich binnen Minuten Reichweite nachtanken, ohne grosse und somit schwere Batterien mitzuführen. Letzteres qualifiziert die Brennstoffzelle deutlich besser auch für Nutzfahrzeuge.

«Brennstoffzellenautos sind ein Nischenprodukt.» 

Angesichts der unbestreitbaren Vorteile stellt sich gerade in klimaschutzbewegten Zeiten die Frage: Warum kommt das Wasserstoffauto (noch) nicht? Die massenhafte Verbreitung von Brennstoffzellenautos scheitert aktuell an der zu teuren Produktion von Autos und Infrastruktur. Beides sind nach Einschätzung von Professor Mohrdieck durch Skalierung lösbare Herausforderungen. Bei sechsstelligen Stückzahlen sei die Produktion eines Brennstoffzellenfahrzeugs zu ähnlichen Kosten möglich wie die eines batterieelektrischen Autos. Ein grosser Schritt zur Vergünstigung wird die rationelle Massenproduktion der in den Brennstoffzellen gestapelten Schichten aus Elektroden und dazwischenliegenden Membranen (engl.: Stacks). Aktuell entstehen die Schichten aus Membran und Elektrode noch einzeln, künftig sollen sie am Stück auf Rollen gefertigt werden.

Bei Mercedes (und Audi) geht die Entwicklung aktuell in Richtung Kombination aus batterieelek-trischem Antrieb und Brennstoffzellenantrieb. Mohrdieck meint dazu: «Der Mercedes GLC F-Cell, als Hybrid aus beiden Antriebsarten, ist ein wichtiger Schritt für uns, auch ohne grosse Fahrzeugvolumina. Batterie und Brennstoffzelle bilden eine Symbiose. Die beiden Technologien ergänzen sich sehr gut: Leistung und Dynamik der Batterie unterstützen die reichweitenstarke und schnell betankbare Brennstoffzelle, die ihren idealen Betriebszustand eher im Teillastbereich hat. Vorstellbar wäre in Zukunft eine Kombination skalierbarer Batterie- und Brennstoffzellenmodule – je nach Mobilitätsszenario und Fahrzeugtyp.»

Mohrdieck schätzt, dass «Mitte der nächsten Dekade – aber sicherlich nach 2025 – die Relevanz der Brennstoffzelle generell und für den Transportsektor signifikant steigen wird. Dabei werden moderate Volumina helfen, Standards zu schaffen, die insbesondere für die Kostenreduktion essenziell sind.»

Das Auto der Zukunft fährt sicher elektrisch. Ob es noch ein Antriebsprinzip haben muss, das für jeden aktuell bekannten Einsatzzweck geeignet ist? Statt des Brennstoffzellen-Hybrids wären auch rein batterieelektrische Autos für die Kurzstrecke und solche mit Brennstoffzellen für die Langstrecke denkbar. Ganz ohne Wasserstoff wird es aber wohl nicht gehen.

«Autos mit Brennstoffzelle erzeugen das Klimagas Wasserdampf.»

Wasserdampf führt in der Atmosphäre grundsätzlich zu Erwärmung und wird daher auch als Klimagas bezeichnet. Aber beim Betrieb eines Brennstoffzellenautos wird überraschenderweise kaum mehr Wasser emittiert als bei einem Verbrenner, denn Benzin besteht aus Kohlenwasserstoffen. Auch bei seiner Verbrennung wird also Wasserdampf frei. Allerdings hat der Wasserdampf beim Brennstoffzellenauto viel niedrigere Temperaturen und kondensiert früher. Darum wird das beim Betrieb anfallende Wasser teilweise aufgefangen und zur Befeuchtung der Brennstoffzelle wiederverwendet. Glatteisgefahr durch Brennstoffzellenautos ist also ebenfalls nicht zu erwarten. Bei Flugzeugen mit Brennstoffzellenantrieb wäre die Wasserrückgewinnung übrigens lohnend: Man könnte sich die Mitnahme von rund 90 Prozent des Wassers für die Toiletten sparen – eine spannende Möglichkeit auch für Wohnmobile. Kurz: Dass beim Betrieb von Brennstoffzellenautos Wasser entsteht, ist weder für die Umwelt noch für den Verkehr ein Problem.

«Wasserstofftankstellen sind viel zu teuer.»

Die meisten Experten taxieren die Kosten für den Bau einer Wasserstofftankstelle derzeit auf etwa eine Million Franken. Gleichzeitig werden beispielsweise für ein flächendeckendes Netz in Deutschland etwa 1000 Tankstellen veranschlagt – der kurzen Tankzeiten wegen viel weniger als Ladepunkte. Die Infrastruktur für Brennstoffzellenautos käme also auf etwa eine Milliarde Franken. Klingt nach viel, ist es aber nicht. Zum Vergleich: Der Diesel-Skandal hat den Volkswagen-Konzern bis heute circa 30 Milliarden Franken gekostet. So wie Brennstoffzellenautos könnten auch Wasserstofftankstellen durch Skaleneffekte bei einer Art Massenherstellung erheblich günstiger werden (von derzeit einer Million auf etwa 400 000 Franken).

An der Infrastruktur müsste die massenhafte Verbreitung von Brennstoffzellenautos nicht scheitern. Allerdings bremst die aktuell noch sehr geringe Verbreitung von Autos mit Brennstoffzelle den Aufbau von mehr Wasserstofftankstellen – ein klassisches Henne-Ei-Problem.

«Brennstoffzellenautos brauchen zu viel Platin.»

Wie man beim Elektroauto gern über Kobalt oder Lithium spricht, die eine massenhafte Herstellung unmöglich machen würden, gibt es ähnliche Einwände gegen die Brennstoffzelle. Denn zu deren Herstellung braucht man Platin, ein teures Edelmetall. Andererseits verwenden wir seit den 1980er-Jahren Platin in den Katalysatoren von Benzinern. Diskussionen darüber hört man keine. Braucht man für eine Brennstoffzelle so viel mehr Platin als für den Katalysator eines Verbrennungsmotors? Anfangs ja. Auch heute wird Platin noch als Katalysator im Brennstoffzellen-stapel (Stack) verwendet. Beim neuen GLC F-Cell konnte Mercedes die Platinmenge gegenüber der Wasserstoff-B-Klasse von 2009 aber um 90 Prozent reduzieren. Im nächsten Schritt, so verspricht Professor Mohrdieck, wird sie «nur noch wenig mehr als beim Kat eines vergleichbaren Benziners betragen, also rund acht bis zehn Gramm».

Hinzu kommt: Die Recycling-Quote von Platin in Benziner-Kats beträgt bereits 98 Prozent. Ähnliche Werte sind bei der Brennstoffzelle laut Mohrdieck auch denkbar.

Fazit

Der Brennstoffzellenantrieb bietet potenziell CO2-neutrale Mobilität, der Wasserstoff dank seiner guten Speicherfähigkeit für schwere Fahrzeuge oder Langstrecken Vorteile auch gegenüber dem batterieelektrischen Antrieb. Solange sich CO2-Einsparung für niemanden als finanzieller Vorteil auszahlt, ist die Technik relativ teuer. Es braucht also politischen Willen, um sie durchzusetzen. Würde sie erst einmal massenhaft produziert werden, dürfte der Preis auf ein erträgliches Niveau sinken.

Text: Gerd Stegmaier
Fotos: Hyundai, Mercedes, BMW, Flaticon.Com, Vecteezy.Com

 

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