Test in Mireval

Der ai-Reifentest – Sicher unter Strom

Welche Reifendimension ist für einen Stromer wie den BMW i4 die optimale Grösse? Die vom Hersteller als Basiseinstieg vorgegebene 17-Zoll-Variante muss sowohl gegen den 18- als auch gegen den 19-Zöller antreten. Darüber hinaus rundete auf dem Goodyear-Testgelände in Mireval (F) ein Low-Budget-Produkt den Reifentest ab.

Veröffentlicht am 29.07.2022

Die Anforderungen an einen Pneu für ein Elektromobil sind hoch. Dazu müssen die Reifenentwickler besonders tief in ihre Trickkiste greifen. Hohe Tragfähigkeit, geringes Abrollgeräusch und geringer Rollwiderstand dürften ganz zuoberst auf ihrer Prioritätenliste stehen. Gerade Letztgenanntes ist der elektrischen Reichweite nur förderlich. «Das Problem ist, dass es kaum einen klassischen Pneu nur für Elektrofahrzeuge gibt», sagt TÜV Süd-Experte Michael Stamm. «Da sind fast alle noch in der Entwicklungsphase. Das trifft nicht nur auf die Reifen, sondern auch auf die Fahrzeuge an sich zu. Haltbarkeit ist punkto Nachhaltigkeit auf alle Fälle ein grosses Thema und punkto Umweltverschmutzung weniger Abrieb. Das führt zwangsläufig zu Zielkonflikten, sodass man beispielsweise Einbussen in Sachen Aquaplaning in Kauf nehmen muss.» Stellt sich die Frage, welches momentan die optimale Grösse für einen Stromer vom Schlage  eines BMW i4 eDrive 40 ist. 

Trockenhandling: Die Disziplin auf dem anspruchsvollen und 3085 Meter langen Circuit dominierte Goodyears 19-Zöller.

 


Drei Dimensionen, sieben Disziplinen

Auf dem Goodyear Testgelände im südfranzösischen Mireval nahmen wir uns den Bayern zur Brust und liessen ihn die sieben Disziplinen mit Reifen der Grössen 17, 18 und 19 Zoll absolvieren. Dimensionen, die es auch in der Erstausrüstung gibt. Mit diesem Test sollte herausgefahren werden, wo die Performance-Unterschiede je nach Grössen-anordnung an der Vorder- und Hinterachse bei einem E-Mobil sind. Heisst beim mit 225/55 R17 ringsum identisch bereiften sowie beim 18- und 19-Zöller jeweils vorne schmaler als hinten besohlten i4 galt es, die einzelnen Disziplinen zu absolvieren. Bei den 19-Zöllern schickten wir mit dem Matador MP 47 Hectorra 3 überdies eine zweite Kons-truktion von einem Low-Budget-Hersteller ins Rennen. Referenzreifen war der Goodyear Eagle F1 Asymmetric 6 in 19 Zoll.

Nassbremsen: Mit 31,4 Meter Bremsweg stand das mit 18-Zöller bezogene Fahrzeug am schnellsten.

Da uns für die Tests im Gegensatz zu den Vorjahren nur ein Testfahrzeug zur Verfügung stand und es sich noch dazu um ein E-Mobil handelte, erhöhte sich der Zeitaufwand für die Tests, da die Disziplinen nicht parallel zueinander durchgeführt werden konnten. Und da der neue Asymmetric 6 zum Testzeitpunkt noch nicht in allen Dimensionen verfügbar war, mussten wir in der kleinsten Grösse auf den Goodyear EfficientGrip Performance 2 zurückgreifen. Ein Reifen, der nicht auf Performance, sondern vielmehr auf Laufleistung, Komfort, Rollwiderstand und Laufruhe ausgelegt ist, ohne dabei an Fahrsicherheit zu verlieren.

Kontrolliert: Rund 32 °C Asphalttemperatur waren es im Nassen und 35 °C im Trockenen.

 


Starke Bremser

Und dass er durchaus seine Qualitäten gegenüber den UHP-Reifen hat, bewies der 17-Zöller bereits beim Längs-Aquaplaning. Seine gegenüber den UHPs tief profilierten 225er-Pneus schnitten sich förmlich durch das rund acht Millimeter tiefe Wasser, sodass er erst bei 84,5 km/h aufschwamm. Ihm dicht auf den Fersen war der ebenfalls mit einem tiefen Profil versehene Matador, der ab 83,9 km/h nach Haftung suchte. Rund 1,6 km/h vorher verlor der 18 Zoll grosse Asymmetric 6 den Kontakt zur Fahrbahn und schwamm auf, während sein 19 Zoll grosser Bruder bereits bei 81,4 km/h nach Halt suchte. 

Trockenbremsen: Stand der Beste bereits, musste der Matador noch 28,5 km/h abbauen.

Ein fast spiegelverkehrtes Bild lieferten die Reifen beim Nassbremsen ab. Beide Asymmetric 6 gaben hier den Ton an. Allen voran der 18-Zöller, der von 80 auf 0 km/h runtergebremst bereits nach 31,4 Metern zum Stehen kam. Ein schwaches und schon fast gefährliches Bild präsentierte der Matador. Nachdem der Beste bereits stand, rauschte der i4 noch mit einer Restgeschwindigkeit von rund 40 km/h an ihm vorbei. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was das im normalen Strassenverkehr bei einer Notbremsung für Mensch und Material bedeutet. Michael Stamm: «Den Vorteil, den sich der Pneu beim Aquaplaning herausgearbeitet hatte, machte er spätestens beim Nassbremsen wieder zunichte – und das mehr als deutlich.» Dass auch der 17-Zöller mit 37,8 Metern etwas hinterherhinkte ist der geringen Aufstandsfläche und natürlich der unterschiedlichen Konstruktion geschuldet. Ein ähnliches Bild mit unterschiedlichen Ergebnissen lieferte das Quartett beim Trockenbremsen ab. Einziger Unterschied, dass der Matador, runtergebremst von 100 auf 0 km/h, 0,3 Meter früher zum Stehen kam als der EfficientGrip. Heisst, dass, wenn der Asymmetric in 18 Zoll bereits steht, der Matador und der EfficientGrip noch 28,5 und 29,7 km/h abbauen müssen.

Nasshandling: Auf dem 1700 Meter langen Kurs wurden bis zu fünf Sekunden Differenz herausgefahren.

 


So wird aus dem Kreis ein Ei

Mit der Kreisbahn stand für die Probanden die nächste Disziplin auf dem Programm. Hier entscheidet eine stabile Seitenführung über Sieg oder Niederlage. Wenn auch nur um fünf Zehntel Sekunden, hatte der 19-Zoll-Asymmetric-6 alles im Griff. Er umrundete den Kreis mit einer Bestzeit von 14,1 Sekunden und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 67,4 km/h. Dahinter rangierten der 18-Zoll-Asymmetric-6 und der EfficientGrip auf den weiteren Plätzen. Dass es für den Matador nicht weiter nach vorne ging, ist der etwas instabilen Seitenführung geschuldet. Wer mit ihm schnell unterwegs sein will, von dem verlangt er eine sachkundige Hand. Mehrere Kreise zu fahren war kaum möglich, sodass man kurzzeitig die Lenkung immer wieder öffnen muss, um den Bayern zu stabilisieren. So wird aus dem Kreis eher ein Osterei, was sich nicht zuletzt auch in den Rundenzeiten und Kurvengeschwindigkeiten klar bemerkbar macht. Darüber hinaus bringt man durch die ständigen Korrekturen keine Ruhe ins Auto. Und es sollte nicht das letzte Mal sein. Mit 67,4 km/h und 14,1 Sekunden hat in dieser Disziplin der 19-Zoll Referenzreifen die Nase vorn. Seine gute Seitenstabilität konnte auch der 18-Zöller nicht toppen. Mit einem knappen Abstand von nur elf Zehntel und 66,9 km/h Kurvengeschwindigkeit sind beide Probanden schon fast auf einem Niveau und sehr dicht zusammen. Überraschend ist, dass der schmalere 225er-EfficientGrip schneller als der breitere Matador (v./h. 245/255) ist. Die ständigen Lenkkorrekturen verhindern einfach bessere Daten.

Für die schnellen Runden: Im Smartphone lassen sich die Rundenzeiten ablesen, die per GPS über die VBox übertragen werden.

 


Grosser Abstand im Nassen

Ein Manko, das den Matador auch auf dem 1,7 Kilometer langen Nasshandlingparcours ereilte. Mit einer Rundenzeit von 1:14,95 Minuten war er nicht nur fast vier Sekunden langsamer als der EfficientGrip, sondern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 81,65 km/h der Langsamste des Quartetts. Im Motorsport ist das eine andere Liga. Umso erstaunlicher, da er mit viel Sicherheit bei Nässe angepriesen wird. Diese Sicherheit fehlte ihm fast gänzlich. Der Referenzreifen setzte auf dem 1700 Meter langen Nasshandling-Circuit mit 1:09,49 Minuten und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 88,07 km/h die Massstäbe. Und damit war er gegenüber dem Matador immerhin fast 5 Sekunden schneller. Wacker hielt sich auch der EfficientGrip 2, der sich keine Blösse gab und nur zwei Sekunden langsamer war.

Unter Aufsicht: Dank des Calistos weiss der Tower immer ganz genau, wo man sich gerade befindet.

 


BMW i4 schwächelt

Eine grosse Überraschung widerfuhr uns bei der Königsdisziplin – dem Trockenhandling. Für einmal macht uns der BMW i4 auf der Jagd nach schnellen Rundenzeiten einen Strich durch die Rechnung. Damit die Akkus und der Elektromotor nicht überhitzen, nahm das System kurzfristig die Leistung zurück und minimierte sie auf 105 kW statt der angegebenen 150 kW. So verhungerte man fast am Ende der langen Geraden. Was anfänglich noch mit 190 km/h ging, schaffte er plötzlich nur noch mit 150 km/h. So mussten die beiden ersten Umläufe bei jedem Probanden passen. Schade, dass wir sie dadurch nicht ins ideale Arbeitsfenster brachten, wo sie dann ihre ganze Performance ausspielen können. Da half auch nicht, dass wir vom Sport- in den ECO-Modus wechselten. Es war aus dem Bayern einfach nicht mehr rauszuholen. Da diese Voraussetzungen aber für alle vier Testreifen gleich waren, ergab sich dennoch ein schlüssiges Ergebnis. Demnach war der Goodyear-19-Zöller auf der 3085 Meter langen Rundstrecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 114,14 km/h und einer Rundenzeit von 1:37,31 Minuten der Schnellste, dicht gefolgt vom 18 Zoll grossen Asymmetric 6, der mit einer Rundenzeit von 1:37,84 Minuten aufwartet. Überraschend platziert sich der eigentlich vielmehr auf Laufleistung, Rollwiderstand, Komfort und Laufruhe ausgelegte EfficientGrip ebenfalls vor dem Matador. «Mal abgesehen von der Grundproblematik des Testfahrzeugs beim Testen sind der 18- und der 19-Zöller des Premiumprodukts am stabilsten und geben auch in der Gesamtübersicht die beste Performance ab», so der TÜV-Süd-Experte. 

Schwimmgemeinschaft: Beim Längs-aquaplaning und acht Millimeter Wasserhöhe trumpfte der Good-year EfficientGrip Performance 2 auf und verlor erst bei 84,5 km/h die Haftung.

 


Geringer Rollwiderstand beim Asymmetric 6

«Nicht zu erwarten war, dass der Asymmetric 6 einen sehr niedrigen Rollwiderstand bietet, denn dafür ist er nicht gebaut. So ist es ein durchaus akzeptabler Wert, den wir im Labor gemessen haben», fasst Stamm die Rollwiderstandsmessungen im Labor beim TÜV Süd zusammen. Klar, hatte in dieser Disziplin der 17-Zöller die Nase weit vorn. «Das günstige Produkt kann gerade beim Rollwiderstand nicht mithalten», sagt Michael Stamm. «Und auch bei den anderen Disziplinen ist sein Abstand deutlich grösser. 17 Zoll ist auf dem Fahrzeug eine Grösse, die in 225/55 R17 nicht mehr zum UHP-Segment gehört. Hier ist ein Touring-Produkt im Einsatz gewesen, das von seinen Grundeigenschaften her anders ausgelegt ist, wie der niedrige Rollwiderstand beweist.» 

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der 18- und der 19 Zöller im Nassen wie im Trockenen fast auf Augenhöhe sind. Beide sind sicher und verfügen auch über die neueste Technologie. Der 17-Zöller ist ein alternatives Produkt, da es ihn als Eagle F1 Asymmetric 6 noch nicht gibt. Somit muss man also aufpassen, dass man den Touring- nicht 1:1 mit dem UHP-Reifen vergleicht. Interessant ist auf alle Fälle der Vergleich zwischen dem Premiumprodukt und dem Low-Budget-Aftermarktprodukt. «Sicherlich müssen die  Reifen für E-Mobile mehr tragen. Doch werden sie bereits mit einem höheren Load-Index gebaut und sind damit auf die entsprechenden Lasten angeglichen», fasst Stamm den Test zusammen. «Hier muss man jetzt unterscheiden, ob man sich einen OE-Pneu, also ein fahrzeugspezifisches Produkt, oder sich einen am Markt gekauften Reifen zulegt, der spezifisch nicht nach dem Entwicklungslastenheft des Autoherstellers entwickelt wurde. Gerade ein Aftermarkt-Produkt muss auf allen Fahrzeugen funktionieren. Und genau hier kann es sein, dass die Laufleistung durch die gegebene Grundprofiltiefe höher ist. Für fahrzeugspezifische Reifenentwicklungen kann es also durchaus sein, dass das Lastenheft andere Grundkriterien voraussetzt.»

In allen Disziplinen fungiert der 19 Zoll grosse Goodyear Eagle F1 Asymmetric 6 als Referenzreifen. Sowohl im Nassen als auch im Trockenen musste er sich vom kleineren 18-Zöller knapp geschlagen geben. Da vermochten auch der Goodyear EfficientGrip Performance 2 und der Matador MP 47 Hectorra nicht mehr mitzuhalten.

Text: Jörg Petersen
Fotos: Vesa Eskola

Fazit
»Einmal mehr hat das Low-Budget-Produkt, der Matador, im Test versagt. Dagegen gibt es zwischen 17, 18 und 19 Zoll sehr grosse preisliche Unterschiede. Besonders in den unterschiedlichen Dimensionen, die wir auf dem BMW i4 an der Vorder- und Hinterachse gefahren sind. Kommt hinzu, dass eine breitere Felge mehr Gewicht ans Auto bringt. Gerade beim Stromer geht es um jedes Kilogramm.
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