Fahrbericht

Cadillac Lyriq - Sprung nach Europa

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Cadillac sich wieder nach Europa wagt. Bestens geeignet dafür wäre das E-Oberklassemodell Lyriq.

Veröffentlicht am 15.08.2022

Cadillac setzt auf Crossover – das zeigen die beiden neuen Modelle Lyriq und der noch grössere Celestiq deutlich. Man will ran an die europäischen Premiumhersteller, die der amerikanischen Edelmarke aus dem Hause General Motors kaum eine Chance liessen. Die neu ausgerufene Elektromobilität bietet GM und hier insbesondere dem Premiumableger Cadillac die Möglichkeit zu einem echten Neustart. Die Gegner lauten Audi, BMW, Mercedes, Porsche und Tesla.

Betont amerikanisch

Der neue Lyriq ist elegant, durchaus ungewöhnlich und nicht so mächtig, wie man es von anderen Cadillac-Modellen kennt. Die massive Front ist eine imposante Inszenierung und C-Säule nebst Heckabschluss sowie Glasdeckel erinnern nicht nur entfernt an den Jensen Interceptor. Der visuelle Retroausflug gefällt einem beim wiederholten Augenkontakt immer besser. Auch an die schmalen LED-Leuchteinheiten an Front und Heck – anfangs etwas seltsam inszeniert – gewöhnt man sich schneller als gedacht.

Im Innern des fünf Meter langen Crossovers geht es edel und betont amerikanisch zu. Vorne wie hinten sitzen die Insassen auf den Ledersesseln überaus kommod und mit mässiger Kontur. Vorne kommt der Sound nicht nur aus 17 überall verteilten Boxen, sondern auch aus den zwei leicht gewölbten Kopfstützen; hinten sind diese zu klein und die Kopffreiheit durch das leicht abfallende Dach überschaubarer als Bein- und Schulterfreiheit. Dabei blicken die Insassen auf ein gewaltiges 33-Zoll-Instrumentendisplay, das die meisten europäischen Kommandozentralen aussehen lässt wie einen Radiowecker aus den 1980er Jahren. Für einen 3,10 Meter langen Radstand ist das Platzgebot nicht gewaltig, doch der Laderaum fasst 790 bis 1'720 Liter.

Entspannt und souverän

Der Lyriq ist endlich wieder einmal ein wirklich cooles Auto von Cadillac. Offiziell gedacht ist er für Nordamerika, doch es dürften kaum Zweifel daran bestehen, dass der GM-Ableger den elektrischen Hoffnungsträger bald auch in Asien und Europa anbietet. Das dürfte jedoch bis 2024 dauern – auch weil die Verkaufsvolumen für 2023 allein in den USA bereits ausgeschöpft sind. Für den Basispreis von rund 60'000 Euro gibt es eine solide Serienausstattung und an der Hinterachse einen Elektromotor, der 250 kW / 340 PS und 440 Nm maximales Drehmoment leistet. Damit fährt der über 2,5 Tonnen schwere Amerikaner in Sachen Dynamik weder in der ersten noch in der zweiten Reihe, denn hier sind mittlerweile 600, 800 oder über 1000 PS nur noch vorbeirasende Zahlenkolonnen.

Hinter dem Steuer präsentiert sich der Cadillac Lyriq als entspannender Cruiser. Kein brutaler Schub, der einen in die Sitze presst, keine wilden Zahlensprünge in der Digitalanzeige, sondern ein ebenso souveräner wie lässiger Eindruck. Die Federung ist in beiden Fahrmodi sehr komfortabel und selbst auf der zerborstenen Landstrasse bringen den Lyriq Querfugen und Bahnschwellen nicht aus der Ruhe. Die Lenkung könnte gerade im engagierteren Sportmodus direkter sein und mehr Rückmeldung geben. Da eine Hinterachslenkung fehlt, ist der Wendekreis des Fünf-Meter-Kolosses mit 12,1 Meter nicht klein. Bei schnellen Passagen fehlt die direkte Anbindung an die Fahrbahn, denn hier wankt und nickt der Lyriq deutlich mehr als manch europäischer Konkurrent. Über das linke Lenkradpedal lässt sich die Rekuperationsstärke justieren und in der übergrossen Digitalanzeige oder auf dem Head-up-Display bestaunen, was eine Fahrweise mit zurückhaltendem Gasfuss bewirkt. So soll der Amerikaner bis zu 500 Kilometer schaffen, ehe es für das 100-kWh-Akkupaket an die nächste Ladesäule geht. Hier wird mit bis zu 190 Kilowatt an einer Schnellladesäule oder 19,2 kW an der heimischen Wallbox getankt. Bei der Allradversion soll sich dies auf unter zwölf Kilowatt reduzieren.

Mehr geht immer

Wer mehr Dynamik will, der sollte sich nicht mit dem 250 kW / 340 PS starken Basis-Hecktriebler zufriedengeben, sondern noch ein paar Monate warten, ehe der rund 500 PS starke Allradler zu Preisen ab 64'000 US-Dollar auf den US-Markt rollt. Die Produktion findet zunächst ausschliesslich im Cadillac-Stammwerk in Spring Hill / Tennessee statt. Für die Umstellung der Fertigung auf Elektromodelle hat Cadillac zwei Milliarden US-Dollar investiert. Weitere 2,3 Milliarden US-Dollar werden von Ultium Cells LLC, dem Joint Venture zwischen General Motors und LG Energy Solution, in ein neues Werk für Batteriezellen in Spring Hill investiert. Hier kommen auch die Akkupakete des grossen Bruders her – der wurde vergangene Woche mit der elektrischen Luxuslimousine Cadillac Celestiq vorgestellt.


 
Text, Photos: Stefan Grundhoff; press-inform

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